Geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz gehört für Frauen, die in indischen Textilfabriken Kleidung für den europäischen Markt herstellen, nach wie vor zum Alltag. Diese Form der Gewalt ist eine der am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen weltweit und reicht von sexueller Belästigung bis hin zu gewalttätigen Übergriffen und Vergewaltigung. Modeunternehmen, die ihre Kleidung im Ausland produzieren lassen, sind für diese Missstände entlang ihrer Lieferkette mitverantwortlich. 

Das Dindigul-Abkommen macht die Verantwortungsübernahme von internationalen Unternehmen für geschlechtsspezifische Gewalt entlang der Lieferkette zur rechtlichen Verpflichtung. Es verfolgt das Ziel, geschlechtsspezifische Gewalt in Textilfabriken der Region Dindigul in Indien zu beenden. Das Abkommen wurde 2022 von der indischen Gewerkschaft Tamil Nadu Textile and Common Labor Union (TTCU), dem Zulieferer Eastman Exports, internationalen Unternehmen sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen unterzeichnet. Es besteht aus zwei ineinandergreifenden rechtsverbindlichen Verträgen: Mit der ersten Vereinbarung verpflichten sich die Vertragsparteien TTCU und Eastman Exports vertraglich dazu, geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung in allen Eastman-Einrichtungen in der Region Dindigul in Indien zu beenden. Dazu gehören unter anderem Fabriken, Spinnereien, Druckereien und Wohnheime. In der zweiten Vereinbarung zwischen TTCU, der Asia Floorwage Alliance (AFWA), der US-amerikanischen NGO Global Labor Justice – International Labor Rights Forum (GLJ-ILRF) und den Unternehmen H&M, GAP und PVH verpflichten sich die Unternehmen dazu, Maßnahmen zur Durchsetzung der TTCU-Eastman-Vereinbarung zu ergreifen. Konkret stärkt das Abkommen in der Region unter anderem Gewerkschaftsrechte, führt Mechanismen zur Meldung von Belästigung am Arbeitsplatz ein und organisiert Schulungen von Arbeiter*innen und ihren Vorgesetzten über geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz. 

Mit der Veröffentlichung des zweiten Fortschrittsberichts im September 2024 zeigen TTCU, AFWA und GLJ-ILRF, dass das Abkommen bereits jetzt zu deutlichen Fortschritten bei der Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt am Arbeitsplatz in der Region beigetragen hat: Der Bericht belegt einen signifikanten Rückgang von Vorfällen geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung in den Fabriken, die dem Abkommen beigetreten sind.  

Angesichts dieser Erfolge wird das Dindigul-Abkommen von vielen Akteur*innen als Vorbild für andere Regionen und Branchen betrachtet. So sehen auch die beiden Multi-Akteurs-Partnerschaften (MAP) FEMNET e.V. und das Bündnis für nachhaltige Textilien in dem Abkommen erhebliches Potential. In der im Oktober 2023 gegründeten Bündnisinitiative “Advancing Worker-Led Agreements on Gender Justice” arbeiten die MAP gemeinsam mit ihren Projektpartnern TTCU, AFWA und GLJ-ILRF auf die Ausweitung des Dindigul-Abkommens auf weitere Unternehmen und Produktionsstandorte hin. Bis zum Februar 2025 will die Initiative mindestens ein weiteres Unternehmen des Textilbündnisses für die Unterzeichnung einer ähnlichen Vereinbarung gewinnen. Um das zu erreichen, organisiert die Initiative Webinare und bilaterale Gespräche, entwirft ein auf den europäischen Kontext angepasstes Proto-Abkommen und leistet Öffentlichkeitsarbeit. Die Arbeit der Bündnisinitiative zeigt beispielhaft, wie MAP durch ihre sektorübergreifende und diverse Zusammensetzung internationale Entwicklungen in ihrem Themenfeld aufgreifen und auf weitere Kontexte übertragen können.