MAP in der Praxis

Interview mit Beate Weiskopf, Geschäftsführerin des Forum Nachhaltiger Kakao

Wie geht es aktuell den Menschen, die am Anfang der Kakao-Lieferketten stehen?

Weiskopf: Am schwierigsten stellt sich die Situation in Westafrika dar. Von dort stammt ein wesentlicher Anteil des Kakaos für den Weltmarkt. Die Einkommen der Kakaobauern und -bäuerinnen sind sehr niedrig, sie erwirtschaften nur rund ein Drittel des Einkommens, das sie benötigen würden, um ihre Existenz zu sichern. Bei dem sogenannten existenzsichernden Einkommen handelt es sich um das Nettoeinkommen eines Haushalts, das unter den Bedingungen menschenwürdiger Arbeit verdient wird und ausreicht, allen Mitgliedern eines Haushalts einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen.

Das meint, unter anderem: ihre Familien zu ernähren, die Gesundheitsversorgung sicherzustellen und ihren Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Die notwendigen Investitionen in den eigenen landwirtschaftlichen Betrieb sind damit aber noch nicht abgedeckt.

Wie hoch ein Living Income sein soll, wurde insbesondere für Ghana und Cote d’Ivoire untersucht. Die Studie zeigt: Neben Kakao müssen noch andere Einkommensquellen zum Lebensunterhalt beitragen, denn vom Kakao allein können die Menschen nicht leben. Zudem zeigen mehrere Studien, dass sich die Bedingungen für die Kakaobauern und -bäuerinnen in den letzten 20-30 Jahren eher verschlechtert haben.

Mit der Liberalisierung des Rohstoffmarktes in den 80er Jahren sind die Preise für Kakao stark gesunken. Zwar haben viele im Kakaoanbau tätigen Unternehmen vor Ort investiert, insbesondere um die Produktivität des Kakao zu steigern, dies hat aber bisher nicht zu einer ausreichenden Verbesserung der Situation für die Kakaobauern und -bäuerinnen beigetragen.

Ein weiteres großes Problem ist die Kinderarbeit, die durch die schlechte Einkommenssituation verschärft wird. Noch immer sind ca. 1,5 Mio. Kinder in den Kakaoanbauregionen von Côte d’Ivoire und Ghana von Kinderarbeit betroffen. Jedoch kommen zwei neue Studien, durchgeführt vom National Opinion Research Center der University of Chicago (NORC), zu dem Schluss, dass durch eine Kombination verschiedener Interventionen der Schokoladenindustrie im Kampf gegen Kinderarbeit die Lage verbessert werden konnte.

Schließlich führt der wachsende Kakao-Anbau dazu, dass Wälder abgeholzt werden, um mehr Flächen für den Anbau zu gewinnen. Seit 2018 gibt es die Cocoa and Forest Initiative, eine globale Initiative, die sich die Beendigung der Entwaldung und die Förderung der Wiederaufforstung und den Schutz der Wälder in der Kakaolieferkette zum Ziel gesetzt hat. Die Initiative wird von der ghanaischen, der ivorischen und der kolumbianischen Regierung gemeinsam mit 35 führenden Kakao- und Schokoladenunternehmen, darunter 10 Mitglieder des Forum Nachhaltiger Kakao, umgesetzt.

Um die Einhaltung der Vereinbarungen durch alle beteiligten Akteur*innen in der Kakao-Lieferkette zu überwachen, ist es notwendig, ein lückenloses Rückverfolgungssystem zu etablieren. Es gibt eine Reihe interessanter digitaler Systeme, die diese Rückverfolgung möglich machen, also: Kommt der Kakao aus entwaldeten oder Schutz-Gebieten? Aber auch: Existieren Formen von Menschenrechtsverletzungen oder Kinderarbeit auf den betroffenen Farmen? Die Rückverfolgung muss bis hin zu den einzelnen Kakao-Farmen möglich gemacht werden.

Viele Unternehmen sind dabei, Rückverfolgbarkeitssysteme für ihre direkten Lieferketten zu entwickeln. Diese müssen mit den nationalen Rückverfolgbarkeitssystemen der Erzeugerländer harmonisiert werden, um eine flächendeckende Rückverfolgbarkeit zu erreichen.

Das Kakaoforum hat ein Monitoring-System entwickelt, das im Dezember 2020 erstmals zum Einsatz gekommen ist. Wie ist es entstanden, und wie kann es dabei unterstützen, die Lebensbedingungen für die Menschen in den Erzeugerländern nachhaltig zu verbessern?

Die Mitglieder des Forum Nachhaltiger Kakao haben sich 2019 zwölf neue Ziele gesetzt, und das neue Monitoring-System soll einen Überblick dazu geben, inwieweit diese Ziele durch die verschiedenen Akteur*innen des Forum Nachhaltiger Kakao umgesetzt werden. Dazu haben wir Indikatoren entwickelt, die wir auch auf europäischer Ebene mit den weiteren Plattformen für nachhaltigen Kakao abgestimmt haben. Ziel ist es, ein gemeinsames europäisches Monitoringsystem zu entwickeln. Neben dem deutschen Forum sind die schweizerische Plattform für nachhaltigen Kakao, die belgische Initiative Beyond Chocolate und die niederländische Initiative für nachhaltigen Kakao beteiligt.

Basierend auf den Indikatoren haben wir Fragebögen und ein Dateneingabe-Tool entwickelt. Das Kakaoforum hat im Dezember einen ersten Durchlauf für die Erfassung der Daten von 2019 gestartet. Dieser Durchlauf ist ein Pilot für die Anwendung des Monitoring-Systems auf europäischer Ebene – dieser soll im April 2021 gestartet werden.

Ein großer Treiber für das Länder-übergreifende Monitoring-System ist die Industrie. Die Unternehmen sind als Mitglieder meist in allen vier Länder-Plattformen vertreten. Hätte jedes Forum ein eigenes Monitoring-System, müsste jedes Unternehmen seine Daten entsprechend für jedes System aufbereiten.

Aber auch von Seiten der weiteren Akteursgruppen sowie der Sekretariate wird ein vereinheitlichtes System als wichtig angesehen, weil wir dadurch bessere Daten erhalten und mit gemeinsamer europäischer Kraft mehr Transparenz in die Kakao-Lieferkette bringen können.

Profitieren von dem System werden die Menschen in den Erzeugerländern. Die Daten werden Rückschlüsse geben über die Wirksamkeit der Projekte, über die Zahlung von Prämien durch die Industrie und über die Einkommenssituation der Bauern und Bäuerinnen insgesamt. Wir werden zudem unsere Strategien für die einzelnen Länder und Regionen besser abstimmen können.

Wie konnte die gute Zusammenarbeit und die Vertrauensbasis zwischen NGOs und Unternehmen erreicht werden?

Dazu gehe ich kurz auf die Anfänge ein: Ursprünglich ging die Initiative für die Gründung des Kakaoforums von zwei Verbänden aus: dem Bundesverband für Süßwaren und dem Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH). Dazu kamen das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), sowie weitere Akteur*innen der Industrie, des Lebensmittelhandels und der Zivilgesellschaft (Nichtregierungsorganisationen und standardsetzende Organisationen).

Alle Akteursgruppen gestalten die Arbeit des Forums aktiv mit. Der intensive Austausch im Vorstand und in den Arbeitsgruppen hat zu einer Vertrauensbasis geführt, die vor allem auf einer respektvollen Diskussionskultur fußt.

Wodurch hat sich aus Ihrer Sicht das Kakaoforum als MAP bewährt, und woran lässt sich das festmachen? Was wollen Sie weiter erreichen?

Wir messen den Erfolg des Kakaoforums vor allem an der Umsetzung unserer Ziele. Hierzu gehört auch, den Anteil des Kakaos, der nach Nachhaltigkeitsstandards zertifiziert ist, zu steigern. Dieser Anteil liegt mittlerweile – Stand 2019 – bei 72 Prozent. 2012 lag der Prozentsatz noch bei drei Prozent. Dass dieser Prozess so rasch voranging, ist auch der guten Zusammenarbeit der Mitglieder im Kakaoforum zu verdanken. Bis 2025 wollen wir den Anteil auf 85 Prozent erhöhen, und aus heutiger Sicht sieht es so aus, dass wir diesen Wert sogar früher erreichen werden.

Die Erarbeitung von zwölf neuen Einzelzielen im Jahr 2019 ging aus einem internen Prozess hervor, der deutlich gemacht hat, dass wir zur Erreichung eines nachhaltigen Kakaosektors über die Zertifizierung hinaus denken müssen: Dieser Prozess hat gezeigt: Das Forum Nachhaltiger Kakao hat sich in den neun Jahren seit seiner Gründung stetig weiterentwickelt, sich neue Ziele gesetzt und Aktivitäten für deren Erreichung umgesetzt. Diese Weiterentwicklung ist sicherlich einer der Hauptgründe dafür, dass sich das Forum Nachhaltiger Kakao als MAP bewährt hat.

Um die Situation der Kakaobauern wirklich nachhaltig zu verbessern, sind strukturelle Änderungen notwendig. Diese sollten sektorübergreifend angegangen werden, da ähnliche Probleme auch in anderen Sektoren insbesondere in anderen Rohstoffmärkten existieren. Wichtig ist auch, in den Erzeugerländern selbst Reformen voranzubringen. Hierzu gehören eine umfassende Landnutzungsplanung sowie eine Steuerung der Produktion im Verbund mit anderen kakaoproduzierenden Ländern, um eine Überproduktion und damit fallende Preise zu vermeiden.

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